20.04.2015
Prof. Dr. Ulrich Trautwein, Universität Tübingen, stellt Ergebnisse der Studie "Konsequenzen der G8-Reform“ vor – Neuerliche Debatte um G8/G9 sollte vermieden werden
Prof. Trautwein: "Beim Leistungsniveau gibt es größtenteils keine oder nur geringe Unterschiede zwischen Schülern des früheren G9 und des heutigen G8."
Kultusminister Stoch: "Wir nehmen die Ergebnisse der Studie sehr ernst und prüfen, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind."
Prof. Dr. Ulrich Trautwein vom Hector-Institut für
Empirische Bildungsforschung an der Universität Tübingen
hat heute (20. April) zentrale Ergebnisse der Studie "Konsequenzen
der G8-Reform“ vorgestellt: keine Unterschiede bei den
Abiturnoten von G8- und G9-Schülern, keine oder nur
geringfügige Unterschiede bei den Kompetenzen in Mathematik,
Physik und Biologie, eine als größer empfundene
Beanspruchung und weniger gutes gesundheitliches Wohlbefinden bei
den G8-Schülern.
Trautwein ermittelte ferner, dass G9-Schüler signifikant
besser im Kompetenzbereich Englisch abschnitten als
G8-Schüler. Dieser Unterschied sei jedoch nicht zwingend auf
die Reform des gymnasialen Bildungsgangs zurückzuführen,
sondern möglicherweise ein vorübergehender Effekt der
Umstellung der Fremdsprachenkonzeption des Landes.
"Der Vorwurf, G8-Schüler hätten in der Kursstufe keine
Zeit mehr für außerunterrichtliches Lernen, für die
Familie oder Freizeitaktivitäten im Orchester oder in
Kirchengruppen, lässt sich durch unsere Daten nicht belegen",
sagte Bildungsforscher Trautwein. Tatsächlich sei das Bild,
das sich hier ergebe, uneinheitlich. Insgesamt kommt Trautwein zu
folgender Einschätzung: „Aufgrund dieser Ergebnisse, der
bildungspolitischen Ausrichtung und den angestrebten Verbesserungen
bei der Unterrichtsqualität sollte eine neuerliche Debatte um
G8/G9 vermieden werden.“
Festgestellt wurde allerdings, dass Schüler in der
Kursstufe des achtjährigen Bildungsgangs ein weniger gutes
gesundheitliches Wohlbefinden und subjektiv größere
Belastungen beschrieben als diejenigen, die in neun Jahren zur
Hochschulreife geführt wurden. Dies sei, so der Minister,
ernst zu nehmen, aber insofern überraschend, als die
Rahmenbedingungen der Kursstufe des alten G9 und des G8
hinsichtlich Stundenvolumen, Anzahl der Fächer und
Anforderungen in der Abiturprüfung identisch waren. Es sei
davon auszugehen, dass die höhere empfundene Belastung damit
zu tun hat, dass es die frühere Eingangsphase in die
Kursstufe, also die 11. Klasse, in der bisherigen Form nicht mehr
gibt.
Konsequenzen aus der Studie könnten sein, das Selbstkonzept
der Schülerinnen und Schüler von Anfang an stärker
in den Blick zu nehmen und die Eingangsphase in die Oberstufe zu
verbessern. Andreas Stoch: "Dass bei der Weiterentwicklung des
Gymnasiums die hohe Qualität des baden-württembergischen
Gymnasiums erhalten bleibt, versteht sich von selbst:"
Bereits erfolgreich umgesetzt wurde das Programm "Gut ankommen
am Gymnasium", durch das die individuelle Förderung in der
Unterstufe verbessert wurde. Im Jahr 2012 wurde den Gymnasien die
11. Poolstunde zur individuellen Förderung in der Unterstufe
zugewiesen. 2014 wurden weitere 0,7 Poolstunden eingesetzt.
Auch solle über ein Coaching-System in den Klassenstufen 7
bis 9 nachgedacht werden. "Wir wollen, dass Anstrengung zum
Erfolgserlebnis führt und nicht zur Überforderung", sagte
Stoch.
Kultusminister Stoch erklärte ferner, dass es denkbar sei,
die Eingangsphase in die Oberstufe unter dem Motto "Sicher zum
Abitur" neu zu gestalten. "Ziel ist, dass die Schülerinnen und
Schüler die Kursstufe nicht als Bruch empfinden, sondern
optimal vorbereitet den Weg zum Abitur antreten können."
Die Daten der Studie von Prof. Dr. Trautwein wurden im Rahmen
des Nationalen Bildungspanels (NEPS) von der Universität
Bamberg erhoben. Insgesamt lagen Daten von rund 5.000
baden-württembergischen Schülerinnen und Schülern
aus 48 Gymnasien vor, die Schülerinnen und Schüler wurden
am Ende ihrer Schulzeit nach den schriftlichen Abiturprüfungen
befragt. Einbezogen wurden die Abiturjahrgänge 2011 (G9), 2012
(Doppeljahrgang G8 und G9) sowie der erste reine G8-Jahrgang
2013.
Der achtjährige Bildungsgang zum allgemein bildenden Abitur in Baden-Württemberg startete zum Schuljahr 2004/2005.