Der baden-württembergische Landtag hat am 15. Juli 2015 die Änderung des Schulgesetzes zur schulischen Inklusion beschlossen. Die Eltern von Kindern mit Behinderung können nun wählen, ob ihr Kind eine allgemeine Schule oder ein sonderpädagogisches Bildungs- und Beratzungszentrum besucht.
- Die Eltern von Kindern mit einem Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot haben die Möglichkeit zu wählen, ob ihr Kind an einer allgemeinen Schule oder einem sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum (SBBZ) lernen soll.
- Inklusion ist Aufgabe aller Schularten.
- Der zieldifferente Unterricht wurde ins Schulgesetz (Ausnahme Sekundarstufe II) aufgenommen.
- Sonderschulen entwickeln sich zu sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren.
- Die Steuerungsfunktion der Schulverwaltung (Schulangebotsplanung, Bildungswegekonferenz, Berufswegekonferenz) wurde gestärkt.
Die Eltern eines Kindes mit festgestelltem Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot können zukünftig wählen, ob der Anspruch an einer allgemeinen Schule oder an einem Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum eingelöst werden soll. Um ihnen für ihre Wahl eine gute Grundlage zu geben, werden die Eltern nach Feststellung des Anspruchs auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot umfassend über die für ihr Kind möglichen Bildungsangebote an allgemeinen Schulen und Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren beraten. Der elterliche Erziehungsplan ist handlungsleitend für die Schulverwaltung. Wünschen die Eltern ein Bildungsangebot an einer allgemeinen Schule, ist durch das Staatliche Schulamt eine Bildungswegekonferenz durchzuführen.
Die Bildungswegekonferenz hat neben der Beratungsaufgabe zugleich auch eine Steuerungsfunktion. Der Klärung des Einzelfalls in der Bildungswegekonferenz gehen eine intensive Beratung und ein Klärungs- und Abstimmungsprozess sowie eine raumschaftsbezogene Schulangebotsplanung in Bezug auf inklusive Bildungsangebote voraus. Die Teilnehmer der Bildungswegekonferenzen haben die Aufgabe, unter Berücksichtigung der von allen beteiligten Partnern herstellbaren Möglichkeiten, den zukünftigen Lernort für ein Kind mit festgestelltem Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot möglichst einvernehmlich vorzuschlagen.
Die Zusammensetzung einer Bildungswegekonferenz ist vom Einzelfall abhängig. Neben den Erziehungsberechtigten und den beteiligten Schulen werden z. B. auch die kommunalen Schulträger sowie weitere Kosten- und Leistungsträger, sofern sie von der Entscheidung der Bildungswegekonferenz betroffen sind bzw. betroffen sein könnten, beteiligt.
Eltern von Kindern mit einem festgestellten Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot können sich zwischen einem inklusiven Bildungsangebot an der allgemeinen Schule oder dem Bildungsangebot an einem sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrum entscheiden, das auch in privater Trägerschaft stehen kann. Eine bestimmte Schule oder Schulart kann dabei nicht gewählt werden.
Die Schulaufsichtsbehörde stellt auf der Grundlage der Ergebnisse einer sonderpädagogischen Diagnostik fest, ob ein Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot besteht. Das Verfahren zur Prüfung und Feststellung des Anspruchs auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot wird in der Regel auf Antrag der Erziehungsberechtigten eingeleitet. Bei Vorliegen konkreter Hinweise darauf, dass dem individuellen Anspruch der Schülerin oder des Schülers ohne ein sonderpädagogisches Bildungsangebot nicht entsprochen werden kann, kann die Prüfung des Anspruchs auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot auch von der Schulaufsichtsbehörde veranlasst werden. Die allgemeine Schule wirkt daran jeweils mit.
Sonderpädagogische Bildungs- und Beratungszentren (SBBZ) bauen ihre Beratungs- und Unterstützungsleistungen im Bereich der frühkindlichen Bildung, der schulischen Bildung und an der Schnittstelle zur beruflichen Bildung aus und beteiligen sich an der Entwicklung entsprechender Angebote bzw. Angebotsstrukturen in einer Region. Gleichzeitig halten sie eigene Bildungsangebote vor, um den Erziehungsberechtigten eine Wahlmöglichkeit geben zu können. Raumschaftsbezogen ist dabei sicherzustellen, dass die Bildungsangebote - unabhängig vom Lernort - qualitativ vergleichbar sind. Dies bedeutet, dass sich die sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren über die verschiedenen Förderschwerpunkte hinweg abstimmen, um bedarfsbezogen inklusive Bildungsangebote unterstützen zu können. Gemeinsame Angebote von sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentren und beruflichen Schulen, die bislang als Schulversuche geführt wurden, sowie die bisherigen Außenklassen sind als kooperative Organisationsform schulgesetzlich verankerter Baustein der Arbeit der sonderpädagogischer Bildungs- und Beratungszentren.
Die Eltern haben die Möglichkeit, gegen eine von ihrem konkreten Wunsch abweichende Festlegung des Lernorts durch das Staatliche Schulamt Widerspruch einzulegen.
Auch allgemeine Schulen in freier Trägerschaft können Schülerinnen und Schüler mit Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot aufnehmen. Das Land hat gleichzeitig mit der Änderung des Schulgesetzes im Privatschulgesetz die Zuschüsse für inklusive Bildungsangebote an freien Schulen geregelt.
Es werden sowohl im Bereich der zentralen Lehrkräftefortbildung (an der Landesakademie für Fortbildung und Personalentwicklung an Schulen) als auch im Bereich der regionalen Lehrkräftefortbildung (auf Ebene der Regierungspräsidien und der Staatlichen Schulämter) Veranstaltungen mit dem Themenschwerpunkt Inklusion angeboten. Diese richten sich an Lehrkräfte aller allgemein bildenden und beruflichen Schulen. Sie umfassen sowohl Schulentwicklungs- als auch Unterrichtsentwicklungsmaßnahmen, inklusive Unterrichtspraxis auch mit Blick auf zieldifferenten Unterricht, und bereiten auf die Zusammenarbeit mit inner- und außerschulischen Unterstützungspartnern vor. Die Fortbildungsmaßnahmen decken somit ein breites Themenspektrum ab und beziehen auch Hospitationsangebote ein. Neben methodisch-didaktischen Kompetenzen geht es in diesen Fortbildungen auch um Fragen der Haltung und Einstellung zu den pädagogischen Herausforderungen eines veränderten Schullebens.
Die Reform der Lehrerbildung an den Pädagogischen Hochschulen und Universitäten/ Musikhochschulen/ Kunsthochschulen/
Hochschule für Jüdische Studien zum Wintersemester 2015/16 sieht für alle Lehramtsstudierenden im Rahmen der
Bachelor-Master-Studiengänge Module zu Grundfragen der Inklusion vor. In allen Lehrämtern können künftig optionale
Vertiefungsfächer aus dem Bereich der Sonderpädagogik gewählt werden. Des Weiteren besteht für Studierende aller
Lehrämter die Möglichkeit, eine sonderpädagogische Fachrichtung als Erweiterungsfach zu studieren. Der grundständige
Lehramtsstudiengang Sonderpädagogik bleibt erhalten und wurde im Hinblick auf Inklusion entsprechend angepasst.
Die Vorbereitungsdienste an den Staatlichen Seminaren für Didaktik und Lehrerbildung sowie die Ausbildung an den Pädagogischen Fachseminaren qualifizieren angehende Lehrkräfte für den Umgang mit Heterogenität und bereiten auf die Erfordernisse einer inklusiven Beschulung vor. Im Vorbereitungsdienst der Lehrämter aller Schularten sind die Themen Lernstandsdiagnose und individuelle Förderung in den Ausbildungsstandards für Pädagogik und für die Fachdidaktiken festgeschrieben.
Die Ergebnisse des Schulversuchs haben gezeigt, dass inklusive Bildungsangebote – insbesondere im zieldifferenten Unterricht – über gruppenbezogene Angebote eingerichtet werden müssen. In dieser Organisationsform gelingt es am besten, die Interessen und Bedürfnisse dieser Schülerinnen und Schüler zu berücksichtigen und die hierfür notwendigen sonderpädagogischen Ressourcen in entsprechendem Umfang zur Verfügung zu stellen.
Das Zwei-Pädagogen-Prinzip steht für die Zusammenarbeit einer allgemeinen und einer sonderpädagogischen Lehrkraft in einem inklusiven Bildungsangebot. Dies wird vornehmlich beim zieldifferenten Unterricht für die überwiegende Dauer des Unterrichts angestrebt. Das lässt sich in der Regel nur bei gruppenbezogenen Angeboten realisieren.
Bereits vor der Änderung des Schulgesetzes konnten Schülerinnen und Schüler mit Behinderung allgemeine Schulen besuchen, wenn sie deren Bildungsziele erreichen konnten (zielgleicher Unterricht).
Seit der Änderung des Schulgesetzes können Schülerinnen und Schüler mit einem festgestellten Anspruch auf ein sonderpädagogisches Bildungsangebot auch dann eine allgemeine Schule besuchen, wenn sie die jeweiligen Bildungsziele dieser allgemeinen Schulen nicht erreichen können (zieldifferenter Unterricht). Dies gilt für die Primarstufe und die Sekundarstufe I. Im Falle einer zieldifferenten Inklusion besteht die gesetzliche Vorgabe, dass ein inklusives Bildungsangebot grundsätzlich gruppenbezogen zu organisieren ist. Diese Organisationsform ist aber auch bei zielgleicher Inklusion - wenn möglich - anzustreben.